Audiovisuelle Wahrnehmung
3 Multimodale Integration
Die Möglichkeit der Integration multimodaler Sinnesreize in sinnvolle Einheiten bietet uns viele Vorteile, beispielsweise die verbesserte Verständlichkeit von Sprache. Durch die enorme Selektivität unseres Gehörsinns ist es möglich, einer Stimme auch in einer lauten Umgebung aufmerksam zu folgen. Sieht man aber gleichzeitig die Gesichts- und Lippenbewegungen der sprechenden Person, wird das Verständnis ungemein gesteigert. Bei der multimodalen Integration wird also die Wahrnehmung in einem Sinnesgebiet durch die Wahrnehmung in einem anderen beeinflusst, da die beiden Bestandteile in einer widerspruchsfreien Interpretation integriert werden. Die Verknüpfung visueller und auditiver Sinnesreize erfolgt jedoch nicht nur, wie lange Zeit angenommen, durch mentale Konstruktion; es wurde gezeigt, dass die verschiedenen Sinnesreize bereits auf neuronaler Ebene in sogenannten multimodalen Neuronen[5] konvergieren. Multimodale Integration ereignet sich somit teilweise schon auf der untersten Wahrnehmungsebene, manchmal sogar noch vor der Objekterkennung.
Im Gegensatz zur genuinen Synästhesie, die als absolut[6] gilt, ist die multimodale Integration vom jeweiligen Kontext abhängig: Liefert ein Sinn zu wenig oder unklare Informationen, so treten andere Sinne als Korrektiv auf – bei Verdunklung der Umgebung wird etwa die auditive Wahrnehmung für die räumliche Orientierung wichtiger. Unabhängig von der Modalität dominiert in der jeweiligen Situation der verlässlichste Stimulus alle anderen. In der Bewertung der Verlässlichkeit fließen natürlich auch Faktoren wie Aufmerksamkeit, Erfahrung, Motivation und Vorwissen ein, was verdeutlicht, dass multimodale Integration nicht auf die Vorgänge in multimodalen Neuronen reduziert werden kann. Der Schlüssel zu einer stabilen Wahrnehmung ist jedenfalls die effiziente Kombination und Integration von Informationen unterschiedlicher Modalitäten.