Musikalisches im abstrakten Film

3 Kompositorische Prinzipien

Ähnliche Ideen einer musikalischen Strukturierung verfolgte der Maler Dwinell Grant in seinen filmischen Experimenten der 1940er Jahre. Während er sich in seinen fünf Compositions (US 1940–1949) der Ausdehnung der abstrakten Komposition in Zeit und Bewegung sowie der Erprobung eines visuellen Kontrapunkts widmete, schuf er 1943 einen der radikalsten abstrakten Filme: den Stummfilm Color Sequence, der ausschließlich aus schnell hintereinandermontierten Farbflächen besteht. Damit betrat Grant in mehrfacher Hinsicht Neuland: Zum einen ist es der erste Film, der mit reinen, monochromatischen Flächen arbeitet und somit im einzelnen Kader (Filmbild) die höchstmögliche Abstraktionsstufe erreicht. Zum anderen kann Color Sequence damit als erster Flicker-Film angesehen werden, auch wenn dieser Begriff erst später eingeführt wurde.

Neuland betraten auch die Brüder John und James Whitney mit ihren Five Film Exercises (US 1943–1944), mit denen sie auf eine Erweiterung der Konzepte einer visuellen Musik zielten: Sie wollten eine audio-visuelle Musik erschaffen, indem sie nicht nur eine übergreifende Struktur aus grundlegenden musikalischen Formen anlegten, sondern diese auch durch vergleichbare Produktionsverfahren in Bild und Ton umsetzten und zu diesem Zweck revolutionäre Techniken für die Ton- und Bilderzeugung entwickelten.[4] So nahmen sie erstmals direktes Licht auf, das sie mithilfe von Schablonen modulierten. Ausgehend von einem beschränkten Set geometrischer Formen, stellten sie dabei serielle Permutationen her. Für die Herstellung des Tons konstruierten sie ein Instrument, das aus einer Reihe von individuell steuerbaren Pendeln bestand, mit denen sie Schwingungen direkt auf die Tonspur aufzeichnen konnten. Damit gelang es ihnen, synthetische Töne exakt zu kontrollieren und zu komplexeren Schwingungsmustern zusammenzufügen, womit sie nicht nur ein Äquivalent zur visuellen Gestaltung schufen, sondern auch Entwicklungen der elektronischen Musik vorwegnahmen.

In 1950er Jahren entwickelte sich an der Westküste der USA ein starkes Interesse an mystischen und spirituellen Konzepten, die sich unter anderem im filmischen Schaffen von Harry Smith, aber auch in James Whitneys späteren Arbeiten widerspiegeln. James Whitneys in den Exercises begonnene Auseinandersetzung mit den Verhältnissen zwischen Elementen, deren Transformationen und Variationen wurde nun um eine kosmische Dimension erweitert. Deutlich wird dies unter anderem in Yantra (US 1955), in dem er nun nicht mehr geometrische, sondern mandalaähnliche Formen Transformationen und Variationen unterzieht. Yantra war wie etliche andere Arbeiten ursprünglich stumm geplant und hat seinen Soundtrack (Ausschnitte aus Henk Badings’ Kain und Abel, 1961) erst später erhalten.

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