Tanz als Audiovision
5 Freier Tanz, Rhythmische Gymnastik, Ausdruckstanz
Mit ihren Danses lumineuses tritt Loīe Fuller ab 1892 im Pariser Folies Bergère auf. Ihr auf Drehbewegungen basierter Tanz in einem Kostüm aus langen Seidenstoffbahnen erzeugt als Vorläufer des Kinos seine Variante bewegter Bilder im Zusammenspiel mit elektrischen Licht- und Farb-Projektionen.[22] Musik ist für Fuller nur eines unter ihren visuell rhythmisierenden Elementen.[23] Der Körper geht als Projektionsfläche in einer multimedial erzeugten Bewegung auf und interagiert mit der Kostüm- und Lichtinstallation. Paul Valéry greift angesichts der Loslösung des Tanzes als Bild von der Person der Tänzerin in Fullers Performances Mallarmés Konzeption des absoluten Textes als verkörpert im absoluten Tanz auf.[24] Valeska Gert, die ebenfalls im Cabaret auftritt, denkt über die Integration von Geräuschen nach, die gleichrangig neben Töne montiert werden sollen, um ihre satirischen und grotesken Tänze im urbanen Kontext zu verankern. Sie hat diese frühe Form des sampling jedoch nie umgesetzt.[25] Für Isadora Duncan ist Musik die Hauptinspiration und Improvisation die Strategie, um die natürlichen Kadenzen der menschlichen Bewegungen wiederzufinden, welche in den Werken Chopins oder Wagners überliefert seien.[26] Musik bildet den Filter, durch den das Individuum seinen ureigenen Ausdruck findet. Aufbauend auf der Lehre François Delsartes entwickelt Émile Jaques-Dalcroze die Rhythmische Gymnastik, in welcher der Rhythmus als Schlüssel jeden Körperausdrucks betrachtet wird.[27] Die Vorstellung, dass die visuelle Ebene auf der rhythmischen Struktur des Körpers aufbaut, inspiriert die Wiederbelebung der chorischen Bewegung im Ausdruckstanz.
Der Ausdruckstanz (auch Moderner Tanz, German Dance, Expressionistischer Tanz) formiert sich in Deutschland in den 1920er und 1930er Jahren. Rudolf von Laban und Mary Wigman fordern die Emanzipation des Tanzes von der Musik: Der a b s o l u t e Tanz, d.h. der stumme Tanz, oder der, dem sich Musik und Tanz als Begleitung unterordnet, wird immer der reinste Ausdruck tänzerischer Form bleiben.[28] Für Wigman schwächt die Musik die Unmittelbarkeit der tänzerischen Expression, die sich ohne Umweg über einen externen Anreger allein aus dem authentischen Erlebnis speisen soll. Im Hexentanz (1926) wird Musik als Geräusch, steigerndes, dem Bewegungsaufbau untergeordnetes, dynamisches Mittel eingesetzt.[29]
Rudolf von Laban komponiert anfangs selbst in einem Tonsystem ohne Takteinteilung. Im Unterricht begleiten Labans Schüler einander gegenseitig, jedoch erst, wenn sie die rhythmischen Gesetze ihres Körpers kennen, um nicht »nachzumachen, was nur der Musik, nicht aber ihnen gemäß ist.[30] Labans System einer als Kinetographie 1928 publizierten Tanzschrift gehört zu den bis heute am weitesten verbreiteten Notationen. Sie bedient sich eines Liniensystems ähnlich der Notenschrift, in dem Takte der Zeiteinteilung dienen, und wird von unten nach oben anstatt von links nach rechts gelesen, wobei die Bewegung der linken Körperhälfte links notiert wird und die der rechten Körperhälfte rechts. Verwendet werden Zeichen u. a. für Zeitmaß, Positionierung, Richtung, Arm- und Beingesten, Gewichtsübertrag, Akzentuierung, Phrasierung und Raumwege.[31]
Werke: Danses lumineuses, Hexentanz, Kinetographie
Personen: Frédéric Chopin, François Delsarte, Isadora Duncan, Loïe Fuller, Valeska Gert, Émile Jaques-Dalcroze, Rudolf von Laban, Stéphane Mallarmé, Paul Valéry, Richard Wagner, Mary Wigman
Körperschaften: Folies Bergère