Filmmusik

3 Einführung des Tonfilms

Mit der Entwicklung der Tonfilmverfahren im Laufe der 1920er Jahre veränderte sich die technische Grundlage der Tonaufzeichnung vor allem hinsichtlich der Möglichkeit zu exakterer Synchronisation.

Bei dem 1926 eingeführten Vitaphonverfahren, einem sogenannten Nadeltonverfahren, wurden Schallplatten mit dem Projektor verbunden. Darin ähnelten sie einem System, mit dem Oskar Meßter ab 1903 für seine Tonbilder nachgedrehte Szenen zu Opernaufnahmen auf Schallplatten verknüpfte. Beim sich Ende der 1920er Jahre durchsetzenden Lichtton wurden Schallwellen fotografisch direkt auf den Filmstreifen aufgezeichnet, wodurch Ton und Bild nun erstmals auf demselben Trägermaterial gespeichert werden konnten.

Eine sensationelle Wirkung hatte The Jazz Singer (US, R: Alan Crosland) bei seiner Premiere am 6. Oktober 1927, obwohl er, entgegen gängiger Darstellungen, nicht der erste Tonfilm der Filmgeschichte war und zudem noch mit dem Vitaphonverfahren realisiert worden war. Aufregend war, dass man einen singenden Menschen gleichzeitig hörte und sah.

Auf die Musik hatte die neue Lichttontechnik in den Anfängen allerdings nur einen geringen Einfluss. Es entstanden zahlreiche sogenannte Talkies, die gar keine Musik vorsahen. Als spektakulär wurden vor allem die Verwendung von natürlichen Geräuschen anstelle des Surrogat-Geräuschmaterials[9] der Stummfilmzeit und die Lippensynchronität von Sprache und Gesang empfunden. Auch das russische Tonfilmmanifest (1928), ein entsetzter Aufschrei darüber, der Tonfilm könne die kunstvolle Montagetechnik zerstören, bezieht sich auf die Verdoppelungen des Bildes durch die Sprache und die Geräusche. Entsprechend forderte es zu einer asynchronen und kontrapunktischen Gestaltung von Bild und Ton auf, die von den Verfassern, Sergej Eisenstein, Wsewolod Pudowkin und Grigori Alexandrow, selbst allerdings nur ansatzweise verwirklicht wurde. Auch Theodor W. Adorno und Hanns Eisler[10] stellten Überlegungen zu einer antithetischen Montage von Akustischem und Visuellem sowie einer kontrapunktischen Musikgestaltung an.

Die ersten Tonfilme waren oft noch stumm gedreht und wurden erst nachträglich mit Ton unterlegt. So war zum Beispiel Blackmail (UK 1929) noch in Stummfilm-Manier konzipiert. Hitchcock drehte einige Szenen nach, um mit Sprache und Geräuschen innovativ umgehen zu können. Berühmt wurde das an konkrete Poesie angenäherte Sprachgemisch des Wortes Knife. Auch René Clairs Film Sous les toits de Paris (FR 1930, M: Raoul Moretti und Armand Bernard) zeigt, dass die neuen Gestaltungsmöglichkeiten primär bei der Sprache und den Geräuschen gesehen wurden. Die Musik der Straßensänger, Akkordeonspieler oder die Caféhausmusik in diesem Film, die durch das Bild als aktuelle Musik gerechtfertigt wird, kann jedoch zur deutenden Begleitung avancieren. Einen ähnlich konstruktiven Gebrauch von Musik, die jedoch ebenfalls diegetisch motiviert ist[11], machten Josef von Sternberg und Friedrich Hollaender für Der blaue Engel (DE 1931). Regelrecht filmmusikalisch ist nur die Rührung vermittelnde Untermalung der Sterbeszene am Schluss.

Der Tonfilm brachte auch neue Gattungen hervor, in denen Musik eine zentralere Rolle einnimmt und die sich großer Beliebtheit erfreuten: Operettenfilm, Musicals, Revue und Tanzfilme (Der Kongreß tanzt, DE 1931, R: Erik Charell; Drei von der Tankstelle, DE 1930, R: Wilhelm Thiele; Broadway Melody, US 1929, R: Harry Beaumont). Bemerkenswert hierbei ist, dass viele der für diese Musikfilme geschriebenen Lieder wie Ein Freund, ein guter Freund, Das gibt’s nur einmal (Musik: Werner Richard Heymann, Text: Robert Gilbert) oder Give my regards to Broadway (George M. Cohan) zu Kassenschlagern avancierten und den Erfolg der Filme mitbegründeten.

Diegetisch meint zur aktuellen Szene gehörend. Zuweilen wird der Begriff aktuelle (oder im Englischen incidental) Musik in der Literatur verwendet.  
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