Musikvideo

1 »The picturesque of sound«

Um die Vorläufer und Anfänge des Musikvideoclips präzise bestimmen und von dort aus seine historische Entwicklung verfolgen zu können, ist es wichtig, sich zunächst einmal die beiden Hauptfunktionen des Genres zu vergegenwärtigen:

  1. Die möglichst getreue Nachgestaltung eines natürlichen, d. h. in der Alltagsrealität vorkommenden, Phänomens und dessen gleichzeitige ästhetische Inszenierung, wobei diese Nachgestaltung beliebig oft reproduzierbar sein soll und – im Unterschied zu Formen wie Theater, Oper oder Musical – durchaus ohne Narration auskommen kann.
  2. Die Verfügbarmachung der mediatisierten Präsenz eines musikalischen Interpreten, die ähnlich wie bei einer Bühnenaufführung primär an das Publikum adressiert ist und dieses ansprechen soll. Dies ein Aspekt, der u. a. die häufig in Videoclips anzutreffende Frontalität auf den Interpreten gegenüber der Kamera erklärt.

Als konkrete historische Ausgangspunkte der technischen Entwicklung sind hier zum einen das sogenannte Eidophusikon des anglo-französischen Malers Philippe Jacques de Loutherbourg (1740–1812), zum anderen das Kinetophone Thomas Alva Edisons von 1891 anzuführen.

Bei dem 1781 erstmals in London vorgeführten Eidophusikon de Loutherbourgs handelt es sich um ein audiovisuelles Miniaturtheater. Dabei wurden in der Natur spielende Szenen mit Hilfe von teilweise gemalten, teilweise modellierten und dank einer ausgefeilten Technik beweglichen Elementen auf einer kleinen Bühne ausgesprochen realistisch nachgestaltet und von Geräuschen und Musik begleitet. Die mit dem Eidophusikon angestellten Bemühungen um eine möglichst überzeugende Nachbildung der Natur (der Name ist aus dem Griechischen – Eidos = Gestalt, Bild, phusikos = ursprünglich, natürlich – abgeleitet) wurden von den Zeitgenossen als äußerst erfolgreich empfunden. De Loutherbourg wurde nicht nur als ein Genie gelobt, who could create a copy of Nature, to be taken for Nature’s self, sondern auch als Erfinder einer neuen audiovisuellen Kunst gefeiert: He introduced a new art – the picturesque of sound.[1]

Dieser Akzent auf einer engen Verflechtung von Bild und Ton charakterisiert in der Folge auch jenes Genre, welches als vermittelndes Übergangsmedium zwischen dem Eidophusikon und Edisons Kinetophone betrachtet werden kann. 1836 berichtet der Schriftsteller August Lewald von einer Aufführungsform, bei der das täuschend ähnliche und bewegliche Portrait[2] einer soeben verstorbenen Mezzosopranistin mittels Projektionen zur Erscheinung gebracht wird, während eine Sängerin aus dem Verborgenen dazu singt.

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