Musikvideo
3 Erste komplexe Kombinationen von Film und Musik
Dem französischen Ingenieur und Filmpionier Léon Gaumont waren Ende 1902 dank seines Chronophonographen bereits recht komplexe Kombinationen von Bild und Ton möglich, die sich auch dem heute bei der Herstellung von Videoclips angewendeten Playback-Verfahren annäherten. Als direkter Vorläufer des Musikvideos muss daher die von Gaumont produzierte und von der Regisseurin Alice Guy (1873–1968) gedrehte phonoscène zu dem Stück Anna, qu’est-ce tu t’attends ou: Vas-y, ma poule (1907) gelten. Die im Liedtext geschilderte Handlung (ein ungeduldiger Ehemann fordert seine Frau auf, sich bei ihren häuslichen Verrichtungen zu beeilen) wird anhand von Szenen interpretiert, in der die absurden Konsequenzen männlicher Nervosität und Hektik vor Augen gestellt werden. Lange vor dem ersten abendfüllenden Musikfilm The Jazz Singer von Alan Crosland (US 1927), mit dem die Gattung des Kino-Musicals begründet wurde, waren damit die komplexen Möglichkeiten einer Verschränkung von gespielter Handlung, erklingender Musik und gesungenem Text bereits erprobt worden. Die Verknüpfung von Musik mit Tanzeinlagen als genuin filmspezifische Inszenierung wurde in Musicalfilmen wie Footlight Parade (US 1933, R: Lloyd Bacon) entfaltet. Hier choreografierte Busby Berkeley in Sequenzen wie By a Waterfall Bewegungen von Tänzerinnen zu abstrakten oder floralen Arrangements, die an Oskar Fischingers Studien erinnern. Diese Reihe von abstrakten Filmen ist hinsichtlich der darin entwickelten Formensprache als auch der exakten Synchronisation auf die Rhythmen der Musik einflussreich für die Ästhetik von Musikvideos. Als musikalische Grundlage verwendete Fischinger darüber hinaus häufig populäre Schlager. In seiner Studie 2 (DE 1930) zu Vaya Veronica fand sich im Abspann zudem ein Verweis auf die entsprechende Schallplatte und deren Erhältlichkeit im Handel, sodass hier bereits die kommerzielle Funktionalität von Musikvideos angekündigt wird.
In ähnlicher Weise sollte das Musikvideo dann später auch als technisches wie ästhetisches Experimentierfeld für Errungenschaften dienen, die sodann im Spielfilm ihre erfolgreiche Anwendung fanden.