Video, ein audiovisuelles Medium
5 Elektronische Audiovisualität: Noise
Die audiovisuelle Eigenschaft von Video besteht in der Austauschrelation von Audio- und Videosignalen. Tonsignale, die durch einen Audiosynthesizer erzeugt worden sind, lassen sich in Bildsignale übersetzen und können daher die visuellen Erscheinungsformen von Video steuern. Umgekehrt kann die in den Videosignalen enthaltene elektronische Information gleichzeitig akustisch und visuell realisiert werden. Im Video kann man sehen, was man hört und hören, was man sieht.
Diese wechselseitige Steuerung von Audio- und Videoimpulsen demonstrierten Steina und Woody Vasulka in zahlreichen Experimenten der frühen siebziger Jahre.
Soundgated Images (1974) geben ein Beispiel für die gleichzeitige Generierung von Bild und Ton und Soundsize (1974) moduliert das Raster eines Fernsehtestbildes, wobei elektronischer Ton das Format und die Form der visuellen Umsetzung bestimmt. Heraldic View (1974) arbeitet mit einem durch Oszillatoren intern generierten Muster, das über ein Kamerabild gelegt wird. Dabei treten durch die Änderung der Voltzahl im angeschlossenen Audiosynthesizer abrupte Veränderungen im synthetischen Bild auf, das mit den eingekeyten Elementen des Kamerabildes interagiert und in der Wahrnehmung unangenehme Orientierungsstörungen auslöst. Gary Hill hat in Full Circle (1978) demonstriert, wie sich die mit seiner Stimme erzeugte Tonschwingung visuell darstellt. Im Video können die Wellenformen der mustergenerierenden Oszillatoren sowie jene der Stimme gleichzeitig gehört und gesehen werden.
Ein weiteres audiovisuelles Potenzial von Video liegt im Umgang mit dem Geräusch, wobei das Videosignal sein Rohmaterial Noise entweder auditiv und/oder visuell darstellen kann.[5]
Darauf aufbauend erkennen frühe Videopioniere eine strukturelle Verwandtschaft zwischen der Generierung und Bearbeitung von elektronischen Signalen und musikalischen Kompositionsprinzipien.
Ihr Interesse bezieht sich auf die Variabilität des elektronischen Signals, beispielsweise in der Variation und Wiederholung eines Schemas und im Zusammenspiel verschiedener Instrumente und Geräte.[6] Dabei erhöht die Zusammenschaltung mehrerer Apparate nicht nur die Variationsvielfalt auf dem Schema elektronischer Bildlichkeit beziehungsweise audiovisueller Darstellung, sondern eröffnet die Möglichkeit zur Erschaffung mehrschichtiger abstrakter Formen, die auf der dargestellten Audio- und der Videoebene im zeitlichen Verlauf miteinander interagieren. Die engere Verbindung von Video zu Musik (im Vergleich zu anderen Bildmedien wie Film und Fotografie) bezieht sich zum einen auf die technische Grundlage im Video Noise, die das Potenzial zu audiovisueller Gestaltung bereithält und zum anderen auf die modularen Kompositionsmöglichkeiten der Geräte, die nicht nur wie musikalische Instrumente zusammenwirken, sondern auch tatsächlich interagieren können, wie Steina Vasulka in Violin Power demonstriert.
Insbesondere der ausgebildete Komponist Nam June Paik und die studierte Violinistin Steina Vasulka haben sich in ihren Videoarbeiten mit Fragen der strukturellen Korrespondenzen von Musik von Video beschäftigt und Video als Erweiterung ihrer musikalischen Praxis verstanden. Paik erforschte in verschiedenen Fernsehexperimenten die Variabilität des vertikal-horizontalen Bildlaufes und veränderte die Synchronisation der Signale wie Variationen auf ein musikalisches Thema[7].
Steina Vasulka sah den Zusammenhang von Musik und Video vor allem in der Möglichkeit, die Bewegung des Instrumentalspielsauf die Videomodulation zu übertragen. Diese Art der Interaktion von Bild und Ton realisierte sie in ihren Audio-Video-Performances von Violin Power (USA, 1970–1978). In dieser Arbeit verursachen die Bewegungen des Bogens auf der live gespielten Violine unmittelbare Signalabweichungen auf der Bildposition des simultan aufgezeichneten und wiedergegebenen Videobildes dieser Performance, sodass die Künstlerin gewissermaßen zugleich Violine und Video spielt.
Durch die Einbeziehung von Scan Processor, Sequencer und Keyer erzeugt sie hier nicht nur Variationen, sondern auch eine Vielschichtigkeit videographischer Bewegungen. Ein solches Zusammenwirken mehrerer Darstellungsebenen der Ausgangsinformation gleicht der musikalischen Mehrstimmigkeit und wird am anschaulichsten, wenn Bild und Ton aus derselben Quelle erzeugt beziehungsweise, wie bei Violin Power, parallel prozessiert werden.
Im Vergleich von musikalischer und videographischer Komposition ist festzuhalten, dass die technische Realisation des analogen Mediums Video es aufgrund der offenen Struktur prozessualer Bilder erlaubt, wie in der Musik unendlich auf einem Schema von Bild zu variieren. Dies unterscheidet Video auch von der Serialität und Wiederholung in Film und Fotografie.