Von den Farbenklavieren zur autonomen Lichtkinetik

6 Farbenlichtspiele als autonome Lichtkunst

Zeitgleich entwickelte sich eine Lichtkunst, die in ihrem Streben nach Unabhängigkeit letztlich zu einer vollständigen Loslösung von der Musik führte. So wurden bis in die 1920er Jahre Dutzende von Apparaten zur Erzeugung von oft kaleidoskopartigen Farbdarbietungen patentiert, die man weiterhin Farbenklaviere nennen kann.[9] Der prominenteste Vertreter dieser Richtung war der US-Amerikaner Thomas Wilfred, der ab 1919 verschiedene Modelle seines Farblichtinstruments Clavilux entwickelte, mit dem er sphärische Farbgebilde produzierte und projizierte. Dabei spielen Farbe-Ton-Analogien allerdings keine Rolle mehr. Vielmehr versteht er seine, von ihm selbst als Lumia bezeichnete, stumme Lichtkunst als eine neue Kunstform. Diese Auffassung steht im Zusammenhang mit der um 1920 aufkommenden Forderung nach einer kinetischen Kunst, einer Lichtkinetik, die nur ihren eigenen Gesetzen gehorcht und auch in ihrer Ausführung keine Anleihen mehr bei der Musik macht, auch nicht in technischer Hinsicht durch die Übernahme einer Tastatur.

Bei der historischen Herleitung dieser Lichtkinetik bilden die Farbenklaviere jedoch nur einen von drei Bezugspunkten. Neben Fotografie und Film waren neue Formen der Lichtgestaltung im Theater von Bedeutung. Einerseits ging es hier um elektrische Lichteffekte besonders in den Inszenierungen Adolphe Appias, bei denen das Licht zum mitgestaltenden Faktor wurde, andererseits auch um Ideen einzelner Künstler, wie zum Beispiel die Serpentinentänze von Loïe Fuller, bei denen wechselnd farbiges Licht auf ihre sich bewegenden Schleier projiziert wurde.[10]

Frühe Versuche einer Lichtkinetik orientierten sich stellenweise noch an Kompositionstechniken und Formen aus der Musik. Im Bauhaus beispielsweise führte Ludwig Hirschfeld-Mack in Zusammenarbeit mit Kurt Schwerdtfeger 1924 seine Reflektorischen Lichtspiele auf. Durch seinen Lehrer Adolf Hölzel und die Lehre Paul Klees war er mit musikalischen Analogien vertraut. Bei der Übersetzung von musikalischen in visuelle Prinzipien ging er jedoch nicht von der Farbe, sondern von der Form aus. So entstand 1923 eine Lichtfuge, begleitet von einer in Hirschfeld-Macks eigenen Worten Musik in einfachen Rhythmen […]. Lampen und Schablonen und die übrigen Hilfsmittel werden entsprechend der musikalischen Bewegung geführt, sodaß die zeitliche Gliederung durch den akustischen Rhythmus eindeutig geklärt, die optischen Bewegungen, Entfaltungen, Zusammenziehungen, Überschneidungen, Steigerungen, Höhepunkte und Abklänge unterstrichen und gefördert werden.[11]

Einige Jahre später demonstrierte László Moholy-Nagy die Möglichkeit einer Lichtkinetik ohne Bezug zur Musik. Sein Licht-Raum-Modulator (1930) diente nicht nur der Veranschaulichung kinetischer Vorgänge, sondern war eigentlich als Lichtrequisit gedacht, um verschiedene, sich dauernd verändernde Licht- und Schattenprojektionen darzustellen.

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