Musiktheater

5 Akustisches Theater und Raumkunst

Nachdem Roger Reynolds zunächst erste serielle Kompositionen vorgelegt hatte, begann er 1961 für das ONCE-Festival in Ann Arbor/Michigan mit einer Oper nach dem bekannten Gedicht The Emperor of Ice Cream von Wallace Stevens. Da es in der Vorlage keinerlei Vorgaben für eine sichtbare Bühnenhandlung gab, komponierte Reynolds die Bühnenpositionen und Bewegungen der acht Sänger als abstrakte Raumbewegungen, die ein Parameter in seiner Partitur bildeten. Damit wurde erstmals eine Raumgestaltung durch bloße musikalische Mittel erreicht; die Bühne war nicht mehr der vorgegebene Ort der Inszenierung, sondern konstituierte sich erst durch die Aufführung der Musik. Dieses Modell eines akustischen Bühnenschauspiels bedeutete die Abkehr von jeder herkömmlichen Form des visuellen Theaters. Dieses Konzept hat Reynolds zunächst in seinem Chorwerk Blind Men (1966) nach Herman Melville weitergeführt, um schließlich in der Voicespace-Serie für Stimme und Tonband (seit 1975) die Bühne als bloßes inneres Ereignis zur Darstellung zu bringen. Ein vergleichbares Denkmodell bestimmte auch Alvin Luciers I Am Sitting in a Room für Stimme und Tonband (1970).[11] Ziel des Stückes ist es, die musikalischen Qualitäten eines Raumes akustisch zur Entfaltung zu bringen, indem ein vorgegebener Sprechtext immer wieder auf Tonband aufgezeichnet und abgespielt wird, so lange bis die Resonanzschwingungen des Raumes sich immer mehr überlagern und die Sprache schließlich in Raumklang aufgelöst wird. Diese kompositorischen Mittel wurden in immer neuen Varianten und Ableitungen in verschiedenen Kontexten angewendet; so in Salvatore Sciarrinos Lohengrin, einer azione invisibile per voce, strumenti e coro (1984), das die Bühnenrealität zur Traumfigur macht, in Luigi Nonos unsichtbarem dramma in musica Prometeo (1981–1985) und in Adriana Hölszkys Oper ohne Text Tragoedia (1997).

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